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DISP - 152 - 1/2003 - www.orl.arch.ethz.ch/disp

Western European Metropolitan Regions

Die Zweckgemeinde als verfassungsrechtlicher Ansatz für Agglomerationen

Stand der Diskussion im Zürcher Verfassungsrat

Carmen Walker Späh*


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3.  DIE NEUEN ZWECKGEMEINDEN

3.1  Stand der Arbeiten im Zürcher Verfassungsrat

Am 27. Juni 2002 diskutierte und verabschiedete der Zürcher Verfassungsrat auf Antrag der zuständigen Kommission 6 das Modell «Gemeinden plus». Dieses Modell geht von zwei Grundsätzen aus:

  • Zum einen soll der Kanton Zürich weiterhin flächendeckend in historisch gewachsene Gemeinden gegliedert sein. Dabei bleiben die Bezirke als dezentrale kantonale Verwaltungsabteilungen bestehen [10].
  • Zum anderen soll den Gemeinden für Aufgaben, welche nicht im Rahmen einzelner Gemeinden bewältigt werden können, in Ergänzung zu den heutigen Instrumenten neue und verbesserte Instrumente für die interkommunale Zusammenarbeit zur Verfügung gestellt werden.

Damit soll eine sanfte Anpassung bisheriger Strukturen erreicht werden. Insbesondere soll auf eine zusätzliche kantonal definierte staatliche Ebene mit Parlament, Behörden und eigener Steuer- und Finanzkompetenz, wie es das Modell «Regionalisierung» vorsah, verzichtet werden [11]. Der Kommissionsmehrheitsantrag wies bereits anlässlich der Plenumssitzung vom 27. Juni 2002 in seiner Begründung darauf hin, dass erste Lösungsvorschläge im interkommunalen Bereich andiskutiert worden waren. Es waren dies:

  • Bisherige Zweckverbände mit Verbesserungsansätzen bezüglich Demokratisierung und vermehrter Transparenz.
  • Neue Gemeindeformen für besondere Aufgabenerfüllungen (in der Folge «Zweckgemeinden» genannt).

In Ergänzung dazu würden die bisherigen anerkannten Instrumente im interkommunalen Bereich - wie zum Beispiel der Zusammenarbeitsvertrag oder regionale Treffen von Gemeindepräsidenten - weiterbestehen.

Zwischenzeitlich hat die zuständige Kommission dieses Modell weiterentwickelt. Das Plenum des Zürcher Verfassungsrates wird sich damit voraussichtlich am 16. Januar 2003 [12] beschäftigen.

Nachfolgend soll daher näher dargelegt werden, was genau unter einer Zweckgemeinde verstanden wird und wie die Agglomerationsgemeinden dieses neue Instrument nutzen könnten.

3.2  Das Grundprinzip der Zweckgemeinde

Mit dem programmatischen Begriff der Zweckgemeinde soll der hohe Stellenwert der neuen Körperschaft in der interkommunalen Zusammenarbeit betont werden, dies im Gegensatz zum bisherigen eher technokratischen Modell der Zweckverbände [13].

Das Konzept der Zweckgemeinde beruht auf Freiwilligkeit. Die Zweckgemeinden organisieren sich wie die politischen Gemeinden nach demokratischen Grundsätzen und verfügen wie die politischen Gemeinden über Autonomie. Mit diesen wichtigen Elementen unterscheiden sich die Zweckgemeinden klar von Zweckverbänden. Die Zweckgemeinden sind Ausdruck eines intensiven politischen Willens nach institutioneller Zusammenarbeit. Gleichzeitig erlaubt der Begriff, die Zweckgemeinden als etwas Neues zu behandeln und daher vom Bestehenden klar abzugrenzen.

Das nach Funktionalität ausgerichtete Modell der neuen Zweckgemeinden in Verbindung mit der Beibehaltung der Bezirke (als auf ihre Kernaufgaben beschränkte dezentrale Verwaltungseinheiten) ermöglicht es den politischen Gemeinden, bei individuellem Bedarf mit anderen politischen Gemeinden in eine besonders enge Zusammenarbeit zur Erfüllung einzelner Aufgaben zu treten, die im Ergebnis der Stellung einer «Spezialgemeinde» (zum Beispiel Oberstufenschulgemeinde, Kirchgemeinden) nahe kommt. Später können bei Bedarf schrittweise neue Aufgaben hinzukommen.

Die Zweckgemeinden sind für die Erfüllung wichtiger Aufgaben (z.B. in Verbindung mit hohen Investitionen) flexibel einsetzbar, demokratisch organisiert, transparent und finanziell tragbar. Sie ermöglichen damit eine zeitgemässe Aufgabenerfüllung nach funktionalen Kriterien (funktionaler Aspekt).

Die so verstandenen Zweckgemeinden stärken die kommunale Ebene, denn die Kompetenz auf lokaler Ebene bleibt gewahrt bzw. wird sogar gestärkt (Stichwort «Gemeindeautonomie»). Die Möglichkeit des Einsatzes «einfacherer» Formen der Zusammenarbeit bleibt unangetastet (z.B. öffentlich-rechtliche Verträge, Zweckverbände für technische Zusammenarbeit innerhalb einer Aufgabe). Die anstehenden Probleme werden demokratisch einwandfrei und für die Stimmbürgerin und den Stimmbürger nachvollziehbar gelöst. Auch aus fiskalischer Sicht werden Belastung und soziale Differenzierung wieder ins Lot gebracht, und die Aufteilung des kommunalen Steuermonopols wirkt dämpfend auf die gesamte Steuerlast. Dies gilt im Übrigen auch für die vertikale Aufteilung der Steuerkompetenz zwischen Bund, Kanton und Gemeinden, wodurch die Steuerlast im Gegensatz zu einem System mit Steuerverbund (z.B. Österreich oder Deutschland) in der Regel tiefer ist.

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ZUSAMMENARBEITSFORMEN FÜR AGGLOMERATIONSGEMEINDEN
 

Vertragliche Zusammenarbeit
für ausgewählte Aufgaben

Zweckverband (Mehrzweckverband)
für ausgewählte Aufgaben


Zweckgemeinde (Mehrzweckgemeinde)
für ausgewählte Aufgaben

einzelne Gemeinden
für verbleibende Aufgaben


 Vertragliche Zusammenarbeit      Zweckverband      Zweckgemeinde


Fig. 2

4.  MÖGLICHE AUFGABENERFÜLLUNGEN EINER ZWECKGEMEINDE IN DER AGGLOMERATION

4.1  Verkehrsinfrastruktur

Eine der dringendsten Aufgaben von Agglomerationsgemeinden ist die Bewältigung des so genannten Agglomerationsverkehrs. Hier ist unmittelbarer Handlungsbedarf gegeben, konzentriert sich doch die Mobilität in hohem Ausmass in den Städten und ihren Agglomerationsräumen. Dort sammelt sich der Berufsverkehr und der Freizeitverkehr (Einkaufen etc.).

Bis vor kurzem wurde der Verkehr ausserhalb der Städte noch unter dem Titel «Regionalverkehr» abgehandelt [14]. Jedoch enthielt der Begriff «Regionalverkehr» keinerlei Aussage über die Art und das (Immissions)-Ausmass des Verkehrs; insbesondere lief das Thema Agglomerationsverkehr unter dem gleichen Obertitel wie zum Beispiel der Regionalverkehr in den Bündner Alpen. Dies ungeachtet des Umstandes, dass ein grosser Teil des so genannten Regionalverkehrs in den Agglomerationen stattfindet [15].

Am 19. Dezember 2001 genehmigte der Bundesrat den Bericht «Agglomerationspolitik des Bundes» und machte darin deutlich, dass er künftig einen grösseren Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung der schweizerischen Agglomerationen leisen will. Der Bund beabsichtigt, innovative Projekte durch eine gezielte Anreizpolitik zu fördern. Kurzfristig geht es darum, das finanzielle Engagement des Bundes in diesem Bereich zu verstärken. Beiträge vom Bund für den Agglomerationsverkehr werden an die Auflagen geknüpft, dass die betreffenden Agglomerationen eine gemeinsame Trägerschaft bilden und den Nachweis erbringen, dass sie ihre Siedlungsentwicklung und den Verkehr optimal aufeinander abstimmen. Zur Unterstützung dieser Bestrebungen soll ein neues Instrument - das so genannte Agglomerationsprogramm - im Raumplanungsgesetz verankert werden [16].

Für die Agglomerationsgemeinden bedeutet dies konkret, dass sie sich für diesen Prozess rüsten müssen. Dies wird nicht ohne Schulterschluss der betroffenen Gemeinden geschehen können. Je intensiver aber dieser Schulterschluss unter den Agglomerationsgemeinden ist, umso stärker werden sie sich Gehör verschaffen können. Für solche gemeindeübergreifenden Aufgaben sind jedoch heute keine institutionalisierten Körperschaften und Instrumente vorhanden, welche über die bisherige institutionalisierte Zusammenarbeit (z.B. die Zweckverbände der Verkehrsregionen) hinausgehen. Bestehende Plattformen dienen in erster Linie einer Verstärkung der fachlichen Kompetenz wie z.B. bei der Abklärung der technischen Machbarkeit, der rechtlichen Rahmenbedingungen oder der möglichen Szenarien im Hinblick auf eine gemeinsame Investition. Hingegen wird die Dimension der Ermessensfragen, d.h. die politische Auseinandersetzung bzw. die Frage, welche Massnahmen zu welchem Preis wünschbar sind, weit gehend vernachlässigt [17].

Das Modell der Zweckgemeinden könnte gerade hier die zentrale Hilfestellung bieten, indem die öffentlichen Mittel zielgerichtet, aufgabengerecht und demokratisch fundiert eingesetzt werden können. Eine zu schaffende Zweckgemeinde «Agglomerationsverkehr» (Arbeitstitel) wäre im Stande, eine agglomerationsgerechte Aufgabenerfüllung vorzunehmen - dies ohne die Entscheidungskompetenz an eine obere Ebene (Kanton und Bund) verlagern zu müssen. Oder mit anderen Worten kann damit die Zuständigkeit auf lokaler Ebene (bei den beteiligten Gemeinden) erhalten bleiben. Gegenüber den heutigen (Verkehrs-) Zweckverbänden überwiegt der Vorteil der demokratischen Kontrolle, gepaart mit finanzieller Transparenz und Gestaltungsfreiheit (Autonomie). Dieser Prozess muss jedoch von den Gemeinden ausgehen und darf weder vom Kanton noch vom Bund diktiert werden.

Mit einer neu gegründeten Zweckgemeinde «Agglomerationsverkehr» bleibt die Selbstständigkeit der Agglomerationsgemeinden bewahrt bzw. wird gefördert. Dem Prinzip der Subsidiarität wird nachgelebt, und ein effizienter und zielorientierter Einsatz der finanziellen Mittel im öffentlichen Verkehr wie im Individualverkehr wird gewährleistet.

Das Thema Agglomerationsverkehr kann selbstverständlich nicht losgelöst von anderen raumplanerischen Überlegungen betrachtet werden, zu vielfältig sind die Verflechtungen heute. Denn die Verkehrsentwicklung ist eng mit der Siedlungsentwicklung verflochten. Bis in die 1980er-Jahre wurde sowohl im Bereich des Hoch- wie des Tiefbaus die Zweckmässigkeit von Vorhaben einzig auf Grund der Kosten und der Lage beurteilt. Der Verbrauch der Ressource Boden galt höchstens unter dem Gesichtspunkt der Landesversorgung als problematisch.

Seit Beginn der 1990er-Jahre ist im Bereich der Besiedlung jedoch ein Paradigmenwechsel feststellbar; die offene Landschaft soll mit der Siedlungsentwicklung nach innen, d.h. ohne zusätzliche Bauzonenbeanspruchung freigehalten werden [18]. Die Möglichkeit, im Rahmen einer Zweckgemeinde weitere Aufgaben zu übernehmen, erweist sich darum gerade hier als Vorteil.

Diesen methodischen Ansatz hat auch der Bund gewählt. Er knüpft seine Unterstützung im Bereich der Agglomerationsprogramme (frühestens ab 2006 jährlich 300 bis 350 Millionen) an planerische und organisatorische Bedingungen: So soll die Verkehrsplanung immer alle Verkehrsträger umfassen sowie mit raumplanerischen und umweltpolitischen Zielen und Massnahmen abgestimmt werden [19].

4.2.  Siedlungsplanung

Am Beispiel der Zürcher Glatttalgemeinden [20] lässt sich darlegen, wie stark in den vergangenen Jahren die siedlungspolitische Weichenstellung erfolgt ist - und wie auch in Zukunft die Weichen noch zu stellen sind. Beachtlich ist der Wandel der Glatttalgemeinden von den ehemaligen städtischen Vororten zu neuen urbanen Zentren. Beachtlich sind auch die realisierten Erschliessungen (z.B. Oberhauserriet) und der Bau diverser Grossprojekte (z.B. Stadtbahn Glatttal, «Airport City», Überdeckung der Autobahn Opfikon, Hochbord in Dübendorf, Zwicky-Areal (Neugut) in Wallisellen [21] etc.). Im Glatttal wird nicht nur gebaut, sondern hier entsteht ein neues Zentrum mit eigener Identität zum Wohnen wie zum Arbeiten. All diese Projekte wurden durch den kantonalen Richtplan «Siedlung und Landschaft» aus dem Jahre 1995 begünstigt, welcher einen grossen Teil dieses Raums zu «Zentrumsgebieten von kantonaler Bedeutung» erklärt hat (Zürich Nord inkl. Oberhauserriet, Teile von Kloten, Opfikon, Wallisellen und Dübendorf).

Diese Entwicklung bringt aber nicht nur Vorteile für die Glatttal-Gemeinden. Insbesondere der zunehmende Individual-verkehr und der Flugverkehr erzeugen auch ernst zu nehmende Immissionen und Belastungen für den Lebens- und Wirtschaftsraum Glatttal. Es entsteht ein Spannungsfeld zwischen boomender Entwicklung und einer immer grösser werdenden Abwehrhaltung gegenüber neuen Infrastrukturen. Hier ist die Raumplanung mehr denn je gefordert.

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Anmerkungen

[10]  Bezirke sind keine Gebietskörperschaften, sondern beschränkt zuständige Verwaltungseinheiten.
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[11]  Vgl. zur Regionenfrage auch THIERSTEIN, A.; WALKER, D.; BEHRENDT, H. et al. (1997): Tatort Region - Veränderungsmanagement in der Regional- und Gemeindentwicklung. Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden.
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[12]  Dieses Datum entspricht dem geplanten Fahrplan des Verfassungsrates zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses.
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[13]  Vgl. auch Art. 47 bis Abs. 1 KV: Wo besondere Verhältnisse es als wünschenswert erscheinen lassen, können sich die Gemeinden mit Genehmigung des Regierungsrates miteinander zu Zweckverbänden verbinden, um einzelne Zweige der Gemeindeverwaltung gemeinschaftlich zu besorgen.
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[14]  Regionalverkehr im hier verwendeten Sinn hat nichts mit den heutigen und als Zweckverbände ausgestalteten Verkehrsregionen zu tun!
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[15]  Dr. Max Friedli, Direktor Bundesamt für Verkehr, anlässlich des Symposiums «Stadtverkehr - wie weiter?» vom 2. April 1998.
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[16]  Medienmitteilung des Bundesrates vom 19. Dezember 2001 «Bundesrat lanciert Agglomerationspolitik des Bundes».
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[17]  Vgl. zu diesem Thema auch BEZ, Baurechtsentscheide Kanton Zürich, 2002, Nr. 54: Gemeindeübergreifende Lösungen in der Verkehrsplanung sind nur sehr eingeschränkt möglich. Gemeinden haben den innerörtlichen (Erschliessungs-)Verkehr soweit möglich über ihr eigenes Gebiet abzuwickeln. Nur wenn dies nicht oder allenfalls bloss unter erheblich erschwerten Bedingungen möglich ist, kann eine Gemeinde über das Gebiet einer benachbarten Gemeinde führen.
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[18]  Zitat Zürcher Umweltpraxis ZUP, Nr. 31, September 2002, S. 30, aus Beitrag «Kann die Verkehrsplanung von der Siedlungsplanung lernen?».
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[19]  Medienmitteilung des Bundesrates vom 18. Juni 2002 «Startschuss für Agglomerationsprogramme».
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[20]  Die Gemeinden Bassersdorf, Dietlikon, Dübendorf, Kloten, Opfikon, Rümlang, Wallisellen und Wangen-Brütisellen haben sich unter der Bezeichnung «glow. das Glattal» - www.glow.ch - eine gemeinsame Plattform gegründet. Auslöser dafür war eine besonders dynamische Entwicklung in den betroffenen Gemeinden. Für diese Gemeinden stellen sich auch wichtige Fragen der Raum- und Siedlungsentwicklung und der Infrastrukturplanung (Flughafen, Glatttalbahn etc.).
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[21]  In Dübendorf und Wallisellen wird im Dezember 2002 getrennt über öffentliche Gestaltungspläne für einen neuen Stadtteil mit 4000 Arbeitsplätzen und 400 Wohneinheiten abgestimmt. Der Gestaltungsplan über das gesamte Grundeigentum Neugut erfasst Flächen in der Gemeinde Wallisellen und in der Stadt Dübendorf. Beide Gemeinwesen sind im kooperativen Planungsprozess beteiligt gewesen. Der private Gestaltungsplan will eine qualitativ hoch stehende Planung anstreben. Insbesondere soll mit dem Gestaltungsplan das überörtliche Potenzial besser genutzt werden können (vgl. Weisung bzw. Antrag des Gemeinderates Wallisellen zuhanden der Gemeindeversammlung vom 11. Dezember 2002).
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