ARTIKEL,
VORTRÄGE
Gemeindeforum 14. November
2002
Die neue Zweckgemeinde
Ein Weg der sanften Anpassung
bisheriger Strukturen
von Carmen Walker Späh,
Kantonsrätin und Verfassungsrätin
Die Bedeutung des
Föderalismus
Die heutige Gemeindevielfalt Im Kanton
Zürich ist Ausdruck eines gelebten
Föderalismus. Diese Idee bildet eine
Grundvoraussetzung der bundesstaatlichen Idee und
stellt einen Grundpfeiler des «Erfolgsmodells
Schweiz» dar. Er beschränkt sich nicht
nur auf alle Formen der Zusammenarbeit zwischen den
Kantonen («horizontaler kooperativer
Föderalismus») und zwischen Kantonen und
Bund («vertikaler Föderalismus»),
sondern findet seine Grundlage auch auf einer
tieferen Ebene, nämlich in der
interkommunalen
Zusammenarbeit.
Zusammen mit dem Grundsatz der
Subsidiarität ermöglicht
der föderalistische Gedanke den Gemeinden,
ihre Kompetenz auf lokaler und daher
bürgernaher Ebene zu wahren.
Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben
reicht aber aus sachlichen Gründen bereits
heute häufig über die Gemeindegrenzen
hinaus. Es ist eine Tatsache, dass die Gemeinden
bei vielen öffentlichen Aufgaben miteinander
verflochten sind. Einzellösungen sind oft
weder finanziell noch technisch möglich.
Gleichzeitig lassen sich die heute von den
Gemeinwesen zu erfüllenden Aufgabe nicht mehr
auf starre Territorien konzentrieren. Vielmehr ist
anzuerkennen, dass das Territorium - je nach zu
erfüllender Aufgabe, unterschiedlich ist.
Gesundheit, Abfallbeseitigung, Raumplanung - um
einige wichtige öffentliche Aufgaben zu nennen
- haben eine territorial völlig andere
Ausgestaltung. Gefragt sind daher nicht neue starre
territoriale Strukturen in unserem Kanton, sondern
neue Gefässe, welche den Gemeinden eine
möglichst sachbezogene - demokratisch
aber einwandfreie - Aufgabenerfüllung
ermöglichen.
Dazu hat die Verfassung die notwendigen
Gefässe zur Verfügung zu stellen. Diese
Gefässe sollten so flexibel wie möglich
sein, um Raum für künftige Entwicklungen
zu lassen. Sie sollen die Bedürfnisse
einzelner Zürcher Oberländer Gemeinden,
welche sich zur Findung gemeinsamer Synergien
zusammenschliessen wollen, genau aufnehmen
können, wie diejenigen der Glatttalgemeinden,
welche im Sog einer pulsierenden Entwicklung der
ganzen Wirtschaftsagglomeration Zürich stehen.
Allein mit einer Demokratisierung unserer
Zweckverbände - wenn wir von der
Gliederungsfrage des Kantons Zürich sprechen -
ist es daher noch lange nicht getan.
Von einer gut funktionierenden interkommunalen
Zusammenarbeit sind folgende Vorteile zu
erwarten:
- eine effizientere und effektivere
Aufgabenerfüllung
- mehr BürgerInnennähe, wenn dank
interkommunaler Zusammenarbeit auf eine
Zentralisierung bzw. Kantonalisierung der
Aufgabenerfüllung verzichtet und die lokale
Autonomie bewahrt werden kann
- ein flexiblerer Einsatz der vorhandenen
finanziellen und personellen Ressourcen
- die grössere Ausgleichsbereitschaft
zwischen den einzelnen Gemeinden
(Finanzausgleich!)
- und eine steigende Akzeptanz für neue
interkommunale Organisationsformen seitens der
Gemeinden (als «geringeres Übel»
gegenüber einer weit reichenden Reform der
Gebietstrukturen)
Gleichzeitig ist zu bedenken, dass jede Form von
Zusammenarbeit zwischen Gemeinwesen zu Problemen
führen kann:
- die übermässige und allenfalls
systematische Beeinflussung der
«schwächeren» Gemeinden durch die
«stärkeren» Gemeinden
- die komplexen Kooperationsvorgänge und
die anschliessende zeitraubende
Konsensbildung
- die Differenzierung der
Entscheidungsprozesse nach ihrer materiellen
Wichtigkeit
- die Auswahl der aufgabenspezifischen
Finanzierungsinstrumente ist heute durch formale
Kriterien eingeschränkt
- die Kompetenzzuordnung ist oft nicht mit
entsprechenden Verantwortungen bzw. direkten
Kontrollmöglichkeiten abgestimmt
Zu diesem Zweck sind neue institutionelle
Bedingungen zu schaffen, die den politischen
Entscheidungsträgern Anreize geben, die Vor-
und Nachteile von Zentralisierung und
Dezentralisierung abzuwägen. Solche Reformen
verlangen nach einer neuen Art von besonders
flexiblen, demokratischen politischen
Einheiten, die sich sowohl für die
Koordination zwischen bestehenden Einheiten eignen
als auch für die Suche nach der
«optimalen» (De-) Zentralisierung
ermöglichen.
Dies wird dadurch erreicht, dass:
- die Organe der Aufgabenträger
stärker auf die Präferenzen der
Bürgerinnen und Bürger behaftet
werden
- sich die räumlichen Ausdehnungen von
Ausgaben und Einnahmen (sog. fiskalische
Äquivalenz) entsprechen, was durch eine
finanzielle Autonomie der neuen politischen
Einheiten erreicht wird, welche mindestens die
Festlegung der Belastungshöhe umfasst
- die Grösse der politischen Einheiten
flexibel den tatsächlichen Problemen und
technischen Gegebenheiten angepasst werden
kann.
Der neue Träger einer öffentlichen
Aufgabe sollte folgende Merkmale aufweisen:
- mindestens eine klar definierte Aufgabe
- eine klare Finanzkompetenz in Verbindung mit
der notwendigen Finanztransparenz
- einen minimalen demokratischen Kontroll- und
Mitwirkungsmechanismus (Verantwortung)
- einen eigenen Perimeter (Abgrenzung der
territorialen oder evtl. personellen
Bezugsgrösse)
Der Perimeter ist so definiert, dass eine
Kongruenz zwischen dem Perimeter der politisch
entscheidenden, der finanziell tragenden und der
leistungs-nutzenden Personen anzustreben ist
(«dreifache Äquivalenz»).
Die neuen Zweckgemeinden
Mit dem programmatischen Begriff der neuen
Zweckgemeinden im Gegensatz zu den
Zweckverbänden soll der hohe
Stellenwert der neuen Körperschaft in der
interkommunalen Zusammenarbeit betont werden, dies
im Gegensatz zum bisherigen eher technokratischen
Modell der Zweckverbände. Die Zweckgemeinden
sind daher Ausdruck eines besonders
intensiven politischen Willens nach
institutioneller Zusammenarbeit.
Die Zweckgemeinde ermöglicht es den
Gemeinden bei individuellem Bedarf mit anderen
Gemeinden in eine besonders enge Zusammenarbeit zur
Erfüllung einzelner Aufgaben zu treten, die im
Ergebnis der Stellung einer Spezialgemeinde (zum
Beispiel Oberstufenschulgemeinde) nahe kommt. Sie
sind für die Erfüllung wichtiger Aufgaben
flexibel einsetzbar, demokratisch organisiert,
transparent, und finanziell tragbar und
ermöglichen damit eine zeitgemässe
Aufgabenerfüllung nach funktionalen
Kriterien.
Solche Spezialgemeinden sind heute nur in eng
umschriebenen Aufgabenbereichen möglich
(Kirchgemeinden/ Oberstufenschulgemeinden),
allerdings sollen diese grössere Freiheiten in
ihrer Organisation haben (z.B. ausserordentliche
oder ordentliche Gemeindeorganisation).
Die Zweckgemeinden stärken die kommunale
Ebene. Denn die Kompetenz auf lokaler Ebene bleibt
bewahrt bzw. sogar gestärkt (Stichwort
«Gemeindeautonomie»). Die Gemeinde
entscheidet frei, ob sie Kompetenzen auf die
interkommunale Ebene verlagern will. Die
anstehenden Probleme werden demokratisch
einwandfrei und für die Stimmbürgerin und
den Stimmbürger nachvollziehbar gelöst.
Auch aus fiskalischer Sicht werden Belastung und
soziale Differenzierung wieder ins Lot gebracht und
die Aufteilung des kommunalen Steuermonopols wirkt
dämpfend auf die gesamte Steuerlast.
In einem ersten Schritt ist zu erwarten, dass
gebietsweise einzelne Zweckverbände freiwillig
zu einer Zweckgemeinde zusammenfinden, was einer
logischen Konsequenz des heutigen Trends zu
Multizweckverbänden entspringt. Später
könnten weitere kommunale Aufgaben
bedarfsbezogen hinzugefügt werden. Die
Zweckgemeinden tragen dazu bei, die Anzahl
kommunaler Plattformen insgesamt zu reduzieren,
womit auch die Anzahl der Ansprechpartner für
den Kanton sinkt. Die Befürchtung, dass
Gemeinden eine unübersichtlichen Anzahl
verschiedener Zweckgemeinden gründen werden,
ist rein theoretisch und aus praktischer Sicht
unbegründet. Vielmehr dürfte der
Gründung einer Zweckgemeinde ein intensiver
politischer Prozess vorausgehen, ähnlich
demjenigen bei Gemeindefusionen. Allerdings geht es
dabei nicht um «Alles oder Nichts»,
sondern um eine schrittweise und daher politisch
wohl akzeptiertere Annäherung einzelner
Gemeinden (vgl. dazu auch der Prozess der
Zürcher Glatttalgemeinden unter der
Bezeichnung «Glow»).
Die Bereitschaft einzelner Zürcher
Gemeinden gemeinsame Lösungen in einer
Zweckgemeinde zu erarbeiten, dürfte regional
sehr unterschiedlich vorhanden sein. Die neue
Verfassung hat jedoch dazu die nötigen
Gefässe zu schaffen, damit eine fruchtbare
interkommunale Zusammenarbeit unter den
Zürcher Gemeinden in Zukunft auch wirklich
möglich ist.
Mögliche
Aufgabenerfüllungen einer
Zweckgemeinde
Am Beispiel Raumplanung
Raumplanung wird heute auf regionaler Ebene von
den Regionalplanungsverbände erfüllt.
Diese sind Zweckverbände im Sinne von § 7
des Gemeindegesetzes. Die
Regionalplanungsverbände sind dabei die mit
abstand grössten Zweckverbände mit
durchschnittlich 19 Gemeinden. Neben ihrer
Grösse sowie den bei den Zweckverbänden
generell auftretenden Kritik (Demokratiedefizite
etc.) haben sie auch den Nachteil, dass ihr
Perimeter territorial und nicht funktional
ausgerichtet ist, was den Bedürfnissen der
einzelnen Gemeinden nicht in jeden Fall gerecht
wird.
...und die
gemeindeübergreifende Nutzungsplanung?
Die wesentlich bedeutenderen Leitplanken setzt
heute die kommunale Bau- und Zonenordnung, welche
die konkrete Überbaubarkeit und Nutzweise der
Grundstücke regelt (z.B. Ausscheiden von
Wohnzonen, Kernzonen, Quartiererhaltungszonen,
Industrie- und Gewerbezonen etc., vgl. § 48
PBG). Die Planungshoheit der einen Gemeinde endet
aber heute an der Gebietshoheit der anderen
Gemeinden. Eine gemeindeübergreifende
gemeinsame Bau- und Zonenplanung ist nicht
möglich, dies obschon die Vorteile gemeinsames
Planes durchaus im Sinne der betroffenen Gemeinden
und der Raumordnung an sich sein müssten. Mit
der verfassungsrechtlichen Möglichkeit der
Zweckgemeinden könnten sich einzelnen
Gemeinden in einem ersten Schritt zur gemeinsamen
Raumplanung zusammenschliessen und damit die
Anreize schaffen, eine gemeinsame Raumplanungsoptik
einzunehmen, dies unter Bewahrung der Kompetenz auf
lokaler Ebene, da die Zweckgemeinde Autonomie in
der ihr zugewiesenen Aufgabenerfüllung
geniesst. Gleichzeitig könnte einer
schleichenden Zentralisierung entgegengewirkt
werden.
Das ist ungeheures Potential heute brach liegt,
lässt sich am Beispiel der vom Fluglärm
belasteten Gebiete zeigen. Längst lassen sich
die Auswirkungen der Lärms und
Raumordnungspolitik nicht mehr allein
gemeindebezogen betrachten. Die heutige
Schwarz-Peter Politik nützt aber weder dem
Flughafen als Herzstück der
Wirtschaftsagglomeration Zürich, noch den
Bürgerinnen und Bürger, welche durch
immer neue Flugrouten verunsichert werden. Schon
lange zwingen uns Planungswerte und
Immissiongrenzwerte gemäss
Lärmschutzverordnung des Bundes zu einer
Anpassung der kommunalen Nutzungsplanungen. Eine
Gemeinde, die sich aber allein auf ihr Territorium
konzentriert, vergibt sich die Chance, zusammen mit
anderen Gemeinden die vielleicht
überlebenswichtigen Synergien zu finden. Eine
gemeindeübergreifende Betrachtung des
Infrastrukturbedarfs, der sinnvollen Anordnung der
Nutzungszonen etc. eröffnet die einmalige
Chance, die Entwicklung in längerfristige
geordnete Bahnen zu lenken.
Zusammenfassung und Ausblick
Das Modell der Zweckgemeinden als intensivste
gemeinsame Aufgabenerfüllung eröffnet
Gemeinden die Chance, gemeinsame Synergien mit
anderen Gemeinden zu suchen und in einem aktiven
politischen Prozess, der weit über denjenigen
von Zweckverbänden geht, umzusetzen. Die
Zweckgemeinden stellen die intensivste Form der
interkommunalen Zusammenarbeit vor der Totalfusion
dar. Sie verhelfen den Gemeinden bei Bedarf
näher zu verschmelzen unter gleichzeitiger
Wahrung ihrer lokalen Kompetenz. Sie
ermöglichen daher eine nicht vom Kanton
diktierte Strukturreform, sondern eine, welche von
den Gemeinden ausgeht, von unter nach oben. Sie
stellt daher auch eine echte Alternative zur
ungeliebten Totalfusion dar.
In diesem Sinne freue ich mich auf eine
angeregte Diskussion, möchte Sie aber an
dieser Stelle noch darauf hinweisen, dass Sie sich
ab dem kommenden Montag auch auf dem Internet
über
www.zweckgemeinde.ch
weiter informieren können.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!
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