ARTIKEL,
VORTRÄGE
NZZ am Sonntag - 21. Juli 2002 -
Nr. 19 - Meinungen - iew.unizh.ch/grp/frey/...
Kantonsfusionen bringen nichts
Das Modell für möglichst
effiziente Verwaltung heisst:
«Demokratische Zweckgemeinde»
Bruno S. Frey
Im Juni haben die Genfer und Waadtländer
Stimmbürger dar über abgestimmt, ob
Vorarbeiten zum Zusammenlegen ihrer Kantone
unternommen werden sollen. 80 Prozent der Genfer
und 77 Prozent der Waadtländer lehnten ab. Sie
haben gut entschieden. Auch andernorts werden
Anstrengungen unternommen, Kantone zusammenzulegen.
Das ehrgeizigste Vorhaben zielt auf einen
Zusammenschluss von Uri, Schwyz, Unterwalden,
Luzern und Zug zu einem Kanton Zentralschweiz.
Die Befürworter von Zusammenschlüssen
führen vor allem zwei Argumente an:
Erstens werden tiefere Verwaltungskosten
erwartet. Im Falle von Waadt und Genf sollen sie um
13 Prozent tiefer als bisher liegen. Dieses
Argument beruht allerdings auf der mechanistischen
Vorstellung, grosse Einheiten seien
billiger zu verwalten als kleine. Ernsthafte
empirische Untersuchungen zeigen jedoch genau das
Gegenteil. Die Kosten steigen, weil
sich die Distanz der Bürger zur
öffentlichen Verwaltung
vergrössert und die Politiker
und Bürokraten weniger wissen, welche
Bedürfnisse die Bürger haben. Selbst die
reinen Verwaltungskosten tendieren nach oben, denn
je grösser eine Bürokratie ist, desto
grösser wird auch der Leerlauf.
Wichtiger ist das zweite Argument für eine
Zusammenlegung von Kantonen. Viele Aufgaben gehen
über den Bereich und die Mittel
eines einzelnen Kantons hinaus.
Beispiele sind etwa Kehrichtverbrennung oder
Universitäten. Es ist zweifellos richtig, dass
viele Kantone solche Aufgaben nicht mehr im
Alleingang lösen können.
Die Folgerung, deshalb müssten sich die
Kantone zu grösseren Einheiten
zusammenschliessen oder die Aufgabe dem Bund
übertragen werden, ist indes verfehlt. Auch
wenn einzelne Kantone für bestimmte Aufgaben
zu klein sind, sind sie für
manch andere Aufgaben zu gross. Viele
staatliche Funktionen lassen sich effizient
kleinräumig erledigen. Zuweilen sind
sogar Gemeinden dafür zu gross. So können
etwa Sauberkeit und Sicherheit häufig
kleinräumig erfolgen, zum Beispiel in
einzelnen Quartieren oder gar Strassen.
Der Verfassungsrat des Kantons Zürich ist
gegenwärtig genau mit dieser Spannung
konfrontiert. Eine Gruppe betont, bestimmte
Aufgaben könnten nur durch Bildung einiger
weniger Regionen innerhalb des Kantons erfüllt
werden. Eine andere Gruppe hebt die Effizienz
kleiner und historisch gewachsener
Einheiten hervor.
Die Lösung besteht in demokratischen
Zweckgemeinden, deren
Grösse sich nach
der jeweils zu erfüllenden staatlichen
Aufgabe richtet. Je nach Funktion
müssen sie gross oder
klein sein. Auf diese Weise werden
die sogenannten externen Effekte minimiert, das
heisst, jede Zweckgemeinde hat genau die
Ausdehnung, die die beste
Aufgabenerfüllung ermöglicht. So sind zum
Beispiel grosse Zweckgemeinden sinnvoll, wenn die
Durchschnittskosten mit steigender Ausdehnung stark
abnehmen. Kleine Zweckgemeinden sind sinnvoll, wenn
sich die räumliche Nachfrage nach
öffentlichen Leistungen stark
unterscheidet.
Da die verschiedenen demokratischen
Zweckgemeinden eine unterschiedliche Grösse
aufweisen, überlappen sie sich.
Je nach Funktion können einzelne
Bürger (für Schulen) oder
politische Gemeinden (bei der
Abwasserreinigung) Mitglieder einer demokratischen
Zweckgemeinde werden. Gegen Zweckgemeinden werden
immer wieder zwei Argumente vorgebracht. Erstens
wird behauptet, sie seien nicht demokratisch
kontrollierbar. Dieser Vorwurf gilt für viele
Zweckverbände, nicht jedoch für die hier
vorgeschlagenen demokratischen Zweckgemeinden. Die
Stimmbürger wählen ihre
Vertreter für diese Gemeinden und haben
direkt-demokratische
Mitwirkungsrechte (Initiative und
Referendum). Ausserdem kann vorgesehen werden, dass
die Bürger die Führung der Zweckgemeinden
abberufen können (dem
amerikanischen «recall»
entsprechend).
Als Zweites wird eingewendet, es entstünden
so viele demokratische Zweckgemeinden, dass der
Einzelne völlig den Überblick verliere.
Dieses Bedenken ist jedoch verfehlt. Da jede
Zweckgemeinde nur eine Leistung anbietet,
wissen die betroffenen
Bürger, ob diese gut und
günstig angeboten wird. Ausserdem brauchen sie
nur dann politisch aktiv zu werden, wenn die
Leistung als unzureichend erachtet wird. Wenn die
Bürger mit der Zweckgemeinde unzufrieden sind,
müssen sie sich ohne viel Aufwand in einem
konstitutionell vorgesehenen Rahmen äussern
können.
Demokratische Zweckgemeinden sollen auf eigenen
Füssen stehen. Sie müssen die zur
Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen
Steuern erheben können. Damit wird
eine direkte Beziehung zwischen
einzelnen staatlichen Leistungen und
deren Kosten für die
Steuerzahler hergestellt. Diese
Transparenz vermittelt die
notwendigen Anreize, die Aufgaben
kostengünstig zu erbringen.
Demokratische Zweckgemeinden mögen als neue
und gar revolutionäre Idee erscheinen. Viele
lehnen sie schon allein deshalb ab. In Tat und
Wahrheit bestehen aber in der Schweiz
ähnliche Gebilde in Form von
Bürger-, Kirch-, Schul- und Zivilgemeinden,
und diese haben sich vorzüglich
bewährt. Die Vielfalt
der Gemeinden ist eine Stärke;
sie reflektiert die mannigfaltigen Anforderungen an
den heutigen Staat. Es ist völlig
unnötig, die über Jahrhunderte historisch
gewachsenen Kantone und Gemeinden zu
zerstören, um damit scheinbar
zeitgemässen Anforderungen zu genügen.
Demokratische Zweckgemeinden bewahren die
Verbundenheit der Bürger
mit ihrer Gemeinde und
erfüllen die
ökonomischen Anforderungen der
heutigen Zeit.
© NZZ am Sonntag
2002
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