ARTIKEL,
VORTRÄGE
Zürcher Freisinn -
Juli/August 2002 - Nr. 7/8
Neugliederung ohne mehr Staat
Das Modell «Gemeinden plus»
An seiner Ratssitzung vom 27. Juni 2002
entschied sich der Verfassungsrat mit
Unterstützung der geschlossen auftretenden
Freisinnigen gegen die Schaffung von Regionen
als eine zusätzliche dritte
Staatsebene.
Carmen Walker Späh,
Verfassungsrätin
Die notwendigen Reformen sollen von den
Gemeinden ausgehen und nicht von oben diktiert
werden. Damit soll der Gemeindeautonomie, einem
zentralen freisinnigen Anliegen der
Verfassungsrevision, Nachachtung verschafft
werden.
Die Gemeinden stärken
Die FDP-Fraktion will die heutige Gliederung des
Kantons Zürich dort beibehalten, wo sie sich
bewährt hat, und dort modernisieren, wo
Handlungsbedarf erkannt wurde. Denn die heutigen
Gemeinden beruhen seit mehreren Jahrhunderten auf
der Idee, dass die direkt betroffene
Bevölkerung ihre öffentlichen
Angelegenheiten möglichst direkt beeinflussen
und lösen kann.
Und genau dieses direktdemokratische System muss
in der neuen Kantonsverfassung vor zentralistischen
Bestrebungen geschützt werden. Die
FDP-Fraktion wehrt sich daher gegen die Schaffung
einer zusätzlichen dritten Staatsebene
(Region).
Denn mit der Einführung von Regionen mit
eigenem Parlament usw. würden die Gemeinden zu
reinen Vollzugsanstalten degradiert, und der
Grundsatz der Subsidiarität wäre nicht
mehr gewährleistet. Das von Regierungsrat
Notter und der Ratslinken vorgebrachte Argument,
mit der Schaffung von Regionen würden die
heute unübersichtlichen Strukturen
vereinfacht, verkennt, dass sich die künftigen
Probleme nicht mit neuen territorialen Strukturen
lösen lassen.
Die Zukunft kann nicht in einer standardisierten
und künstlichen neuen Staatsebene liegen;
vielmehr sollen die Gemeinden ihre
vielfältigen Probleme bedarfsgerecht
lösen können.
Neue Strukturen müssen sich flexibel an
neue räumliche, funktionelle und
wirtschaftliche Gegebenheiten anpassen lassen.
Die Entscheidungskompetenz aber soll bei den
Gemeinden bleiben.
Nach dem Modell «Gemeinden plus»
bleiben die Bezirke als dezentrale kantonale
Verwaltung des Kantons bestehen. Ihre Zahl ist
nicht in der Verfassung zu regeln, sondern auf der
Gesetzesebene, was die notwendige Flexibilität
garantiert.
Neue und verbesserte Instrumente
für die Gemeinden erarbeiten
Die FDP-Fraktion anerkennt ausdrücklich,
dass die Aufgabenerfüllung auf lokaler Ebene
in Zukunft an Bedeutung gewinnen wird.
Davon sprechen die mittlerweile über 200
Zweckverbände in unserem Kanton eine deutliche
Sprache.
Genau hier hat die Reform anzusetzen; sie hat
jedoch von den bisherigen Strukturen
auszugehen.
Zur Diskussion stehen die Verbesserung der
Zweckverbände hinsichtlich Mitbestimmung der
Bevölkerung und finanzieller Transparenz;
weiter wird als neue innovative Idee eine neue
Gemeindeform geprüft, wie zum Beispiel die
«Zweckgemeinde» (vgl. Kästchen
anschliessend).
Der Entscheid des Verfassungsrates für die
Beibehaltung der zweistufigen Gliederung war daher
richtig und konsequent. Die zuständige
Kommission 6 ist nun gefordert, den anerkannten
Reformbedarf mit neuen Ansätzen zu
konkretisieren.
Die neue
«Zweckgemeinde»
In der Schweiz kann im Rahmen aktueller
Revisionen von Kantonsverfassungen oder kantonaler
Gemeindegesetze ein Trend zur Erweiterung der
Spielräume für Gemeinden im Bereich der
interkommunalen Zusammenarbeit festgestellt
werden.
Entwürfe in den Kantonen Freiburg, Waadt
und Wallis sehen explizit den Mehrzweckverband
sowie sonstige Massnahmen zur Förderung der
Kooperation vor. Die von Carmen Walker Späh
erwähnte «Zweckgemeinde» ist als
logische Fortsetzung dieser Entwicklung entstanden.
Als innovative Form der Zusammenarbeit zwischen
Gemeinden stützt sie sich auf die wesentlichen
Merkmale der Gemeindeorganisation und umfasst
insbesondere:
- die Wahl der Behörden
- die Garantie der Volksrechte
- die finanzielle Eigenständigkeit
- die Autonomie in den ihr zugewiesenen
Aufgabenbereichen
Gegenüber den Zweckverbänden
ermöglicht die «Zweckgemeinde», die
Vorteile unserer demokratischen Staatsstrukturen
dort zurückzugewinnen, wo es aus der Sicht der
Betroffenen sinnvoll ist. Zum einen können die
Grössen- und Verbundvorteile einer
Zusammenarbeit durch eine griffige politische
Kontrolle effizienter genutzt werden, ohne dass sie
durch grössere (finanzielle) Spielräume
seitens der Behörden wieder wettgemacht
werden.
Zum anderen mildert dieses Instrument den
mancherorts gespürten «Fusionsdruck»
kleiner Gemeinden.
In einem ersten Schritt würden gebietsweise
einzelne Zweckverbände zu einer
«Zweckgemeinde» zusammengelegt,
gleichzeitig oder später könnten weitere
kommunale Aufgaben hinzugefügt werden.
Als Ergebnis wird mittelfristig das
«Patchwork» interkommunaler Plattformen
mit Rücksicht auf aufgaben- und
regionalbezogene Eigenheiten reduziert und
vereinfacht, und dies ohne zusätzliche, kaum
veränderbare Strukturen wie
verfassungsmässig definierte Regionen.
Dr. Jürg de Spindler, Hellfeier
& de Spindler GmbH, Strategie und
Wirtschaftspolitik
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